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zur homepage Rainer Atzbach, Die mittelalterlichen Funde und Befunde der Ausgrabung Hannover-Bohlendamm

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8. Die Funde

8.1.11. Faststeinzeug und Steinzeug

8.1.11.1. Warenart e1: Steinzeug Siegburger Art/ Siegburger Steinzeug

8.1.11.2. Einordnung und Datierung des Früh- und Vollsteinzeugs Siegburger Art

8.1.11.3. Engobiertes (Fast-)Steinzeug: Warenarten e2/e3

8.1.11.4. Einordnung und Datierung des engobierten (Fast-) Steinzeugs Warenart e2 und e3

8.1.11.5. Warenart e4 und andere Unikate in Faststeinzeug

8.1.11. Faststeinzeug und Steinzeug

8.1.11.1. Warenart e1: Steinzeug Siegburger Art/ Siegburger Steinzeug (Abb. 61,183 - 62,190)

Der klingend hart gebrannte Scherben dieser Warenart ist völlig gesintert, der Bruch dementsprechend kompakt und glatt. Eine Magerung ist nicht erkennbar. Die Farbe ist einheitlich braungrau. An der Außenseite zeigen sich großflächig orangebraun "geflämmte" Bereiche. Alle Fragmente zeigen deutliche Spuren von der Herstellung auf der schnellaufenden Drehscheibe: feine, konzentrische Rillen innen und außen, innen ferner scharf profilierte Drehkanten. Aus diesem Bild fällt nur eine Randscherbe heraus (Abb. 61,183), ihre Oberfläche ist zwar geflämmt, zeigt aber unregelmäßige eisenbraune Punkte. Ihr Bruch ist glatt, läßt jedoch einzelne mittlere bis grobe Quarz- und Erzpartikel zwischen der sonst gesinterten Matrix erkennen. Es handelt sich somit um Fast- oder Frühsteinzeug.

Das Formengut der Funde von Hannover-Bohlendamm fügt sich gut in den bekannten Kanon des Siegburger Steinzeuges ein; es handelt sich durchweg um Fragmente von Trink- und Schankgeschirr, die Mündungen sind als Varianten des hohen glatten Randes (RF 33-35) ausgebildet. Die größeren Fragmente lassen sich sog. Jacoba-Kannen mit randständigem Bandhenkel zuweisen (Abb. 61,184-186). Dazu kommt als zweite Form ein bauchiger Krug mit Bandhenkel und Wellenfuß (Abb. 61,187 - 62,189) und ein konischer Becher mit Wellenfuß (Abb. 62,190).

8.1.11.2. Einordnung und Datierung des Früh- und Vollsteinzeugs Siegburger Art

Die vorliegenden Gefäßfragmente dieser Warenart sind nahezu allesamt der geflämmten Ware, also der Blütezeit des Siegburger Steinzeuges zuzuweisen, lediglich das Exemplar aus Fast- /Frühsteinzeug gehört in die Frühphase der dortigen Produktion[209]. Die Herstellung von Frühsteinzeug beginnt in Siegburg um 1300, spätestens in der zweiten Hälfte des 14. Jh. setzt die glänzend-geflämmte Oberflächengestaltung (Ascheanflugglasur) ein, damit ist zugleich die technische Entwicklung des kompakten Scherbens vollendet. Beides bleibt in der Blütezeit im 16. Jh. das Charakteristikum des Siegburger Steinzeuges. Die Produktion am Ort endet zwar spätestens 1637 mit Zerstörung der Öfen, doch ergibt sich seit ca. 1590 bis in das frühe 17. Jh. ein fließender Übergang zur frühen Steinzeugproduktion ausgewanderter Siegburger Töpfer im Westerwald.

Seit der zweiten Hälfte des 13. Jh. steigt der Import rheinischer Töpferwaren in Südniedersachsen stark an. Offenbar wurde Siegburger Steinzeug zudem in Coppengrave täuschend gut imitiert[210], so daß -vorbehaltlich mineralogischer Analysen - besser von "Steinzeug Siegburger Art" die Rede sein soll. Frühsteinzeug Siegburger Art erscheint in Hannover in den Schichten "1308" bis "1350". H. Plath datierte das Aufkommen des entwickelten Siegburger Steinzeuges in Hannover "nach 1371". Im münzdatierten Fundkomplex von Höxter-Marktstraße 3 (um 1300) ist Frühsteinzeug Siegburger Art belegt, so daß H.G. Stephan "um 1300" als neuen Zeitansatz vorschlägt, dem schließen sich A. Büscher für Hannover (Warenart 5700) und die übrige Forschung an. Die genauere Chronologie des Siegburger Steinzeuges stützt sich maßgeblich auf die kunsthistorische Forschung[211]. Während mit Frühsteinzeug Siegburger Art schon um 1300 zu rechnen ist, erscheint das entwickelte Steinzeug erst im fortgeschrittenen 14. Jh. Diese Differenzierung ist aus den Befunden vom Bohlendamm zu bestätigen: Das Fragment Frühsteinzeug kommt aus Grube H (um 1300). Die ältesten Belege der entwickelten Form stammen in der Stratigraphie der Grabung Bohlendamm aus der Pflasterung über dem großen Graben östlich des Steinwerks; sie sind mit Warenart d2 vergesellschaftet und deshalb auch dort nach dem dritten Viertel des 13. Jh. zu datieren. In geringer Stückzahl streut die entwickelte Warenart e1 bis zur jüngsten Latrine II-44, aus der die größeren Fragmente stammen.

Bauchige Krüge mit randständigem Bandhenkel werden im Kölner Stadtmuseum in das 14./15. Jh. datiert, die Gefäßgrundform ist als Zylinderhalskrug im Rheinland bis in das 16. Jh. und darüberhinaus geläufig[212]. Alle Belege vom Bohlendamm kommen aus der jüngsten Latrine II-44, aus der Hafnerware und Stangengläsern der frühen Neuzeit, aber auch spätmittelalterliche Nuppengläsern stammen. Vorbehaltlich der unklaren Schichtenfolge dieses Befundes sind sie an die Grenze Spätmittelalter/ Frühneuzeit zu datieren.

Die Herstellung von Jacobakannen wird im Rheinland in die zweite Hälfte 14. bis 15. Jh. gesetzt[213]. Dazu paßt die Herkunft der Exemplare vom Bohlendamm aus der um 1400 überbauten Grube D (Gr I-230.7) und der Latrine III-17, die nach 1428 errichtet worden sein dürfte und Hafnerware enthielt. Ebenfalls aus dieser Latrine stammt der rekonstruierbare Wellenfußbecher, der auch im Rheinland in das 15. Jh. weist[214].

8.1.11.3. Engobiertes (Fast-)Steinzeug: Warenarten e2/e3

Variante Warenart e2: Reduzierend gebranntes engobiertes Faststeinzeug (Abb. 62,191.192)

Diese Warenart ist im Grenzbereich Faststeinzeug/ Steinzeug einzuordnen: Der Scherben ist fast völlig gesintert, aber nicht so kompakt wie Siegburger Steinzeug. Der Bruch ist glatt, zeigt jedoch eine körnige Oberfläche. Der Scherben ist steinzeugartig hart und im Bruch einheitlich braungrau. Die Außenseite ist mit einer matten bis schwach glänzenden rehbraunen bis nußbraunen Engobe überfangen, der farblich die Innenseite gleicht. Im Randbereich tritt die Engobe auch innen auf. Die einzige Randscherbe trägt einen Dornrand (RF 32: Abb. 62,191) und läßt den Ansatz eines randständigen Bandhenkels erkennen. Das Bodenfragment (Abb. 62,192) weist einen flachen Boden mit einem schwach ausgeprägten Wellenfuß auf, der Gefäßkörper führt konisch aufwärts. Beide Stücke sind Überreste eines Einhenkelkruges. Die Fragmente zeigen besonders auf der Innenseite Drehriefen und Drehstufen, die von der Herstellung auf der schnellaufenden Töpferscheibe herrühren, diese sind auf der Außenseite dekorativ ausgebildet.

Variante Warenart e3: Wechselgebranntes engobiertes Steinzeug (Abb. 63)

Der Scherben dieser Warenart ist gesintert und steinzeugartig hart, aber weniger kompakt als Siegburger Steinzeug. Als charakteristisch erweist sich der glatte, schichtig gefärbte Bruch: der Kern mattbraun, der Mantel braungrau. Dies deutet auf eine Wechselbrandführung hin. Eine rehbraune bis nußbraune, stark glänzenden Engobe bedeckt die Außenseite, die Farbe der Innenseite gleicht der Außenseite. Alle Fragmente weisen besonders innen Drehriefen und -stufen auf, die von der Herstellung auf der schnellaufenden Töpferscheibe herrühren.

Alle Bruchstücke sind Krügen, wohl mit randständigen Bandhenkeln, zuzuweisen (Abb. 63,193.194). Sie besitzen wohl flache Bodenflächen mit in kleinen Kniffen gearbeiteten Wellenfüßen (Abb. 63,195-198). Über den Gefäßkörper sind keine Aussagen möglich, außer daß die Fuß- und Kniezone konisch geformt sein muß. Beide Randprofile gehören zum Typ Dornrand (RF 32). Zum Teil ist unterhalb des Randes eine Drehriefenzier zu erkennen, die auch als ausgeprägte aufgelegte Ringe erscheint (Abb. 63,200).

8.1.11.4. Einordnung und Datierung des engobierten (Fast-) Steinzeugs Warenart e2 und e3

Der mineralogische Befund beider Varianten weist in das südniedersächsische "Pottland" (Anhang 4). H. Plath setzte das Aufkommen der Variante e2 ab "1308", Variante e3 "nach 1215" für Hannover an; A. Büscher datierte beide in die zweite Hälfte 13. bis 14. Jh. Rot oder braunengobierte Fast- und Frühsteinzeuge sind im gesamten südniedersächsischen Raum von der Mitte oder dem dritten Viertel des 13. Jh. bis in das 14. Jh. verbreitet (siehe Konkordanz, Anhang 3). Auch im Herkunftsgebiet ist diese Warenart faßbar: In Coppengrave läuft die Produktion von rotengobiertem Faststeinzeug bis in das 14. Jh., in Duingen in echtem Steinzeug bis in das 15. Jh. Während im Pottland der Sprung zum entwickelten Steinzeug gelingt, scheitern die Töpfereien des Reinhardswaldes am ungeeigneten Ton und produzieren im späten Mittelalter weiter Faststeinzeug[215].

Der früheste Beleg dieser Warenarten am Bohlendamm kommt aus der mittleren Füllung des großen Grabens (Gr I-181.53) und ist wegen der Vergesellschaftung mit Warenart d2 nach der Mitte des 13. Jh. eingebracht worden, sie streuen in geringer Stückzahl bis in Grube N (nach 1469).

Der Zeitansatz des Dornrandkruges ist sehr einheitlich: Im Reinhardswald reicht er von der Mitte des 13. bis in das 14. Jh., im münzdatierten Fundkomplex von Höxter-Marktstr. 3 ist er noch vertreten (um 1300), im Rheinland ist er eine Leitform des 13. Jh. bis frühes 14. Jh.[216]. Planböden mit Wellenrand kommen in Südniedersachsen ab dem 13. Jh. vor. Die Vorkommen dieser Formen in der Stratigraphie der Grabung Bohlendamm passen zu diesen Datierungen.

8.1.11.5. Warenart e4 und andere Unikate in Faststeinzeug

In diesem Abschnitt sind Einzelscherben oder -gefäße zusammengefaßt, die zum Faststeinzeug zu rechnen sind, sich aber deutlich vom übrigen Fundgut unterscheiden: Am bedeutendsten sind die Überreste eines Faststeinzeugkruges (Abb. 64,201.202). Das Gros seiner Fragmente stammt aus der Latrine III-17, jedoch traten auch in der Ausbruchgrube III-15 Scherben, u.a. der Boden, auf, insgesamt sind 37 Scherben zur Machart dieses Kruges zu zählen, so daß hier von Warenart e4 die Rede sein soll. Der Gefäßkörper war kugelig bis eiförmig. Die Bodenpartie verfügt über einen grob ausgeformten Wellenfuß. Während die Innenseite besonders unterhalb der Mündung Anflüge einer Eigenglasur erkennen läßt, finden sich auf der Außenseite mehrere stark glänzende, unscharf umrissene Flächen, Reste einer verbrannten und dabei verglasten Engobe[217]. Über die Bruchstücke dieses Kruges hinaus gibt es noch je eine Wandscherbe ähnlichen Materials aus den oberen Füllschichten der Grube H (Gr. I-61.1-6) und Grube N (Gr I-241.29). Diese Fragmente ähneln Warenart Büscher 5500 (13./14. Jh.). Krüge mit eiförmigem, ungegliedertem Gefäßkörper, Steilrand und unterrandständigem Bandhenkel sind allgemein in das 15./16. Jh. zu setzen, wobei besonders auf die münzdatierten Komplexe Göttingen-Weender Str. 11 (frühes 16. Jh.) und Markt 4 (um 1400) zu verweisen ist, die entsprechende Formen in Steinzeug Siegburger Art brachten[218]. Aus dem Vorkommen am Bohlendamm ergibt sich eine Datierung in das 14./15. Jh.

Darüber hinaus gibt es noch drei Unikate in Faststeinzeug: Ein hoher, gratiger Rand (RF 6: Abb. 64,203) stammt aus den oberen Verfüllschichten des großen Grabens. Der Bruch ist glatt, das Fragment ist sehr dünnwandig und sorgfältig bearbeitet, wobei nicht zu entscheiden ist, ob es sich um Drehscheibenware oder nur um ein überdrehtes Randstück handelt. Zu ihm fehlen Vergleichsfunde, lediglich im Fundgut der Pfalz Pöhlde wird die Randform in das 13./14. Jh. datiert[219]. Ebenfalls aus dem großen Graben kommt eine Wandscherbe (Abb. 64,204). In der Schulterzone finden sich vier rundstabige Drehriefen, darunter zwei Zeilen eines Rollstempeldekors in lateinischem Zahlenmuster. Rollstempeldekor kommt nach H. Plath in Hannover mindestens vom 13.-15. Jh. vor. Im südniedersächsischen Bereich erscheint es vor allem an Kannen und Krügen und geht um 1300 zurück, läuft aber besonders auf Mehrpaßgefäßen noch weiter bis in die Neuzeit hinein, die grobe Machart des Scherbens verweist jedoch eher in das 13./14. Jh.[220]. Aus den um 1500 überdeckten Schichten vor IR VII stammt ein Grapenfuß (Abb. 64,205), er ist freilich aus sich heraus nicht näher datierbar (Spätmittelalter).

 

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