mittelalterarchaeologie.de (jpg)
zur homepage Rainer Atzbach, Die mittelalterlichen Funde und Befunde der Ausgrabung Hannover-Bohlendamm

zur Inhaltsangabe

8. Die Funde

8.1.2. Die Gliederung des Fundstoffes

 

8.1.2. Die Gliederung des Fundstoffes

Zur Bearbeitung lagen 2151 stratifizierte Scherben vor. Alle mittelalterlichen Randscherben und Töpfe werden im Katalog aufgeführt. Die Unsicherheiten bezüglich der existierenden Gliederungssysteme legten es nahe, H. Plaths Postulat einer autochthonen Einteilung des Materials zu folgen, wobei die Korrelation mit dem Forschungsstand, vor allem mit der Bearbeitung A. Büschers, angestrebt wurde. Ziel dieser Gliederung ist es

- die zeitgenössischen, d.h. dem mittelalterlichen Menschen bekannten Waren zu erfassen

- die technologische und formale Entwicklung der Keramik zu erkennen

- Datierungsanhalte für die Befunde der Grabung zu gewinnen

- die Herkunftsorte und Verbreitung der Töpferprodukte zu erschließen

Grundlage jeder Keramikbearbeitung ist eine klare Nomenklatur, daher werden weitestmöglich standardisierte Begriffe benutzt[132]:

Vorstellung der Gefäßformen (Abb. 32)

Die wichtigste Topfform ist der Kugeltopf (Abb. 32,1). Weiterentwicklungen stellen die Tüllenkanne (Abb. 32,2) und der Grapen (Dreibeintopf, Abb. 32,3) dar. Frühe Becherformen sind entweder kleine Kugeltöpfe oder kleine Töpfe deren Mündung nach mehreren Seiten in der Draufsicht kleeblattförmig ausgezogen ist, je nach Anzahl der Auszüge als Vierpaß-, Fünfpaß-, oder Mehrpaßbecher ("Mündelbecher", Abb. 32,8) bezeichnet. Schüsseln und Schalen werden nicht unterschieden (Abb. 32,10.11). Als Einhenkelkrug (Abb. 32,4.5) wird eine meist gebauchte, mit langem Bandhenkel versehene Form im Gegensatz zur meist zweihenkligen Tüllenkanne bezeichnet, aus dieser Grundform entwickelt sich die Jacoba-Kanne (Abb. 32,6). Der Trichterhalsbecher (Abb. 32,7) heißt nach seiner Mündungsform. Die ältesten Kacheln erinnern deutlich an Töpfe (Abb. 32,9).

Die Teile eines Gefäßes werden nach dem Vorbild der menschlichen Anatomie bezeichnet (Hals, Schulter, Bauch, Fuß). Band- und Wulsthenkel heißen nach der Gestalt des Querschnittes (flachoval oder kreisförmig), daneben gibt es den Stielgriff. Die Standfläche eines Gefäßes kann als Kugelboden, flacher Standboden oder Standring ausgebildet sein, ist er gefältelt oder gewellt heißt er Wellenfuß (Abb. 32,6-8).

Vorstellung der Randformen (Abb. 33 - Abb. 34)

Die Randformen (RF) sind nach Warenarten und Herstellungstechnik geordnet: Als einfache Ränder werden schlicht profilierte, unverdickte oder schwach verdickte, nach außen von der Schulterpartie abknickende Ränder bezeichnet. Sie sind horizontal abgestrichen (RF 1), an der Oberseite gekehlt (RF 2), wulstig verdickt (RF 3), gratig und hoch (RF 4) oder niedrig (RF 5). Einen geschwungenen Halsumbruch zeigen der hohe gratige (RF 6) und der senkrecht abgestrichene Rand (RF 7); dazu kommen die schwach verdickten und unterschnittenen Ränder (RF 8 und 9). Zur Familie der Lippenränder vermittelt der Rand mit ausgezogener Randlippe (RF 10). Lippenränder sind der "klassische Lippenrand" (RF 11), der unverdickte (RF 12) und der durch eine innere Kehlung "s-"förmig profilierte Lippenrand (RF 13). Zu den verdickten, innen gekehlten Ränder zählen der stumpf verdickte (RF 14), der spitz ausgezogene (RF 15) und der wulstig verdickte Rand (RF 16). Die Gruppe der Trichterränder umfaßt den winklig abgesetzten (RF 17), den hoch geschwungenen (RF 18) und den keulenförmig verdickten Rand (RF 19). Der hohe glatte, innen abgeknickte Rand (RF 20) vermittelt zu den hohen geschwungenen Ränder (RF 21-23), darunter auch der Mündelrand (RF 22). Dazu kommt der leicht verdickte Rand mit senkrechter Außenseite (RF 24). Schüsselränder sind die RF 25,26 und 28,29. Den Abschluß der Irdenwaren-Ränder bilden der Keulenrand (RF 27) und der abgesetzt profilierte Rand (RF 30). Zur Gruppe der Steinzeug-Ränder gehören der Kragenrand (RF 31), der Dornrand (RF 32) und die Varianten des hohen glatten Randes (RF 33-36). Die Gestalt der Ränder der neuzeitlichen Hafnerware (RF 37-57) ist der Abbildung zu entnehmen.

Material und Herstellungstechnik

Das Ausgangsmaterial der Keramikherstellung ist Ton, im gebrannten Zustand bezeichnet als der Scherben. Dieser besteht aus der Tonmatrix und unter der Lupe bzw. im Dünnschliff erkennbaren anorganischen Partikeln, der Magerung. Sie ist entweder schon im Ton enthalten oder vom Töpfer zugefügt worden. Sind die Tonbestandteile noch erkennbar, liegt Irdenware vor, sind sie dagegen zu einer homogenen Masse gesintert, handelt es sich um Steinzeug. Enthält letzteres noch sichtbare Magerungspartikel, wird es als Fast- oder Frühsteinzeug bezeichnet, eine Unterscheidung dieser beiden Gruppen ist nur geochemisch möglich. "Steinzeugfähig" ist ein Ton nur dann, wenn eine hinreichend breite Temperaturmarge zwischen niedrigerem Sinterpunkt und höherem Schmelzpunkt vorliegt: ungeeigneter Ton zerschmilzt im Ofen und büßt die Gefäßform ein.

Der Ausdruck Hafnerware wird in dieser Arbeit vereinfachend für "neuzeitliche glasierte helle Irdenware" abweichend von den Rahmenrichtlinien auch dann benutzt, wenn diese nicht bemalt ist.

Die Größenangabe der Magerungspartikel bezieht sich auf die überwiegende geologische Korngrößenklasse und weicht damit von der norddeutschen Rahmenterminologie ab, um einen Sprachgegensatz zu den naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen zu vermeiden. Die durchschnittliche Härte des Scherbens wurde nach der Mohs'schen Härteskala ermittelt. Die Farbbezeichnung folgt dem Michel-Schwaneberg Farbenführer, Glasurfarben werden nach RAL angesprochen[133]. Die Herstellungstechnik wird unterschieden in freihandgeformt, auf einer drehbaren Arbeitsscheibe nachgedreht oder auf der Töpferscheibe i.e.S. schnell gedreht. Kugeltöpfe wurden in einer Mischtechnik aus freier Formung der Bauchzone und Drehen oder Nachdrehen des Oberteiles gefertigt[134]. Die Bruchbeschaffenheit wird beschrieben als glatt, unregelmäßig oder rauh/ zerklüftet.

Ergänzend wurden freundlicherweise von Herrn P. Scholz Dünnschliffuntersuchungen an ausgewählten, aber makroskopisch repräsentativen Proben durchgeführt (Anhang 4). Gerade vor dem Hintergrund der großen Unsicherheit der Warenunterteilungen im südniedersächsischen Gebiet erwies sich dieses Verfahren als wertvolle Hilfe.

Als deutlichstes Gliederungskriterium erwiesen sich die Magerungsart, -korngröße und -verteilung. Die Farbe wurde zur Definition von Varianten herangezogen, doch haftet ihr ebenso wie der Härte stets eine gewisse Unsicherheit an, da beide an einem Gefäß erheblich variieren können[135]. Weitgehend ungeeignet war die Betrachtung der Oberflächenstruktur, die sich von Rand- zu Bauchzone und oft auch je nach Seite eines Gefäßes als Folge der zum Teil freihand formenden Herstellungstechnik erheblich unterscheiden kann. Dies gilt eingeschränkt auch für die Bruchstruktur, die stets von der Magerung abhängig ist.

Im folgenden werden die ermittelten Warenarten vorgestellt. Die Beschreibungen beginnen stets mit der Schilderung von Materialbeschaffenheit und Technik, auf diese folgt die Darstellung des zugehörigen Formengutes. Den Abschluß der Charakterisierung verwandter Warenarten bilden ihre Einordnung und Datierung sowohl in der Stratigraphie der Grabung Bohlendamm als auch anhand von Vergleichsfunden.

zum Seitenanfang